Ah, die 70er – eine Zeit, in der Plattenspieler mit goldenem Koffer genauso angesagt waren wie Apfelshampoo und Schlaghosen. Der VW Käfer rollte als „Das Auto“ durch die Straßen, und die Werbung? Sie erlebte ihre erste echte Revolution. Plötzlich ging es nicht mehr nur darum, Produkte zu beschreiben, sondern Geschichten zu erzählen.
Von lila Kühen und emotionalen Botschaften
Milka: Wie eine lila Kuh zur Ikone wurde Die Milka-Kampagne ist das Paradebeispiel für das Storytelling der 70er Jahre. Eine lila Kuh? In den Alpen? Klingt absurd – und genau das war der Punkt. Doch diese absurde Idee hatte Methode: Die Farbe Lila war damals ungewöhnlich in der Werbung und sorgte schon allein dadurch für Aufmerksamkeit. Gleichzeitig weckte sie Assoziationen von Geborgenheit, Kindheit und einem Hauch von Magie. Die Alpen als Hintergrund boten das perfekte Setting – sie standen für Reinheit, Natur und Authentizität.
Milka verkörperte damit nicht nur Schokolade, sondern ein Gefühl: Gemütlichkeit, Heimat, und das Versprechen, in einer hektischen Welt einen Moment des Innehaltens zu finden. Mit jeder Werbung schlich sich dieses Bild in die Wohnzimmer und Herzen der Menschen. Psychologisch betrachtet setzte Milka auf Nostalgie und positive Assoziationen – ein Konzept, das bis heute funktioniert.
Learning: Sei mutig! Ungewöhnliche Bilder und Geschichten bleiben hängen, weil sie Emotionen wecken. Heute wäre es das Äquivalent zu einer pinken Avocado, die für nachhaltige Snacks wirbt.
Hi-Fi, Memorex und die Illusion von Perfektion
Memorex: Kann Werbung Glas zerspringen lassen? Die Technikwerbung der 70er setzte auf wissenschaftlich klingende Botschaften, die in Erinnerung bleiben sollten. Der legendäre Memorex-Spot zeigte eine beeindruckende Szene: Ella Fitzgeralds kraftvolle Stimme, aufgenommen auf einer Memorex-Kassette, brachte ein Weinglas zum Zerspringen. Die Kamera zoomte auf das zersplitterte Glas, während eine Stimme aus dem Off fragte: „Is it live, or is it Memorex?“
Der Spot nutzte die Illusion der Perfektion. Die Idee, dass eine Kassette der Live-Performance ebenbürtig sein könnte, war revolutionär. Ob das Glas tatsächlich durch Schall zerbrach oder ein Trick dahintersteckte, war zweitrangig. Entscheidend war, dass die Zuschauer über die technische Qualität staunten und darüber sprachen.
Mit diesem Spot prägte Memorex nicht nur einen ikonischen Slogan, sondern bewies auch, dass Werbung die Fantasie der Menschen anregen kann. Sie spielte gekonnt mit Wissenschaft, Kunst und einem Hauch von Spektakel.
Learning: Geschichten, die unsere Vorstellungskraft anregen, verkaufen sich besser als Fakten. Schaffe einen Wow-Effekt, der begeistert – und lass die Leute raten, was davon real ist.
Humor, Mut und ein Hauch von Skandal
Coca-Cola: Die Welt soll singen „I’d like to buy the world a Coke“ ist einer der ikonischsten Werbespots der 70er Jahre. Der Spot zeigt eine Gruppe junger Menschen aus verschiedenen Nationen, die auf einem Hügel stehen und gemeinsam ein Lied singen. Das zentrale Bild: Harmonie und Zusammenhalt, symbolisiert durch die gemeinsam gehaltenen Coca-Cola-Flaschen. In einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche und Proteste schuf der Spot ein Gefühl von Frieden und Verbundenheit – ein cleverer Kontrast zur Realität.
Der Erfolg dieses Spots lag nicht nur in seiner musikalischen Botschaft, sondern auch in der Symbolkraft des Produkts. Coca-Cola wurde nicht einfach als Erfrischung dargestellt, sondern als verbindendes Element zwischen Kulturen und Generationen. Dieses universelle Gefühl der Gemeinschaft traf den Nerv der Zeit und machte die Kampagne unvergesslich.
Learning: Emotionen verbinden. Nutze universelle Werte wie Freundschaft oder Zusammenhalt, um dein Publikum zu erreichen.
Die HB-Männchen: Witz statt Wut Wer erinnert sich nicht an das HB-Männchen? Ein kleiner Cartoon-Charakter, der immer kurz davor war, auszurasten – mit Rauchwolken, explodierenden Köpfen und jeder Menge Chaos. Die Pointe? Eine Zigarette von HB brachte ihn sofort wieder zur Ruhe. Der Werbeslogan „Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Greife lieber zur HB…“ war ein humorvoller Appell an Gelassenheit, der perfekt zur damaligen Zeit passte.
Die Kampagne lebte von ihrer Selbstironie und den einprägsamen Animationen, die sich in die Erinnerung der Zuschauer brannten. Heute wäre diese Art von Werbung zwar undenkbar, aber in den 70ern zeigte sie: Humor verkauft.
Learning: Selbstironie und Humor sind zeitlos. Menschen mögen es, wenn sie sich und ihre Schwächen in einer Geschichte wiedererkennen.
Konsum trifft Krise: Die ersten „grünen“ Botschaften
Während die Werbung der 70er überwiegend auf Konsum setzte, tauchten auch die ersten Nachhaltigkeitskampagnen auf. Ein prominentes Beispiel war die Esso-Kampagne mit dem Slogan „Es gibt viel zu tun. Packen wir’s an!“. Im dazugehörigen Werbespot wurde eine utopische Zukunft gezeichnet, in der Umweltprobleme gemeinsam gelöst werden könnten – selbst die Ölindustrie wurde als aktiver Teil der Lösung dargestellt. Dabei wurden Bilder von glasklaren Seen, grünen Wäldern und fröhlichen Familien gezeigt, die suggerierten, dass alles wieder gut werden könnte, wenn „wir alle anpacken“.
Gleichzeitig kontrastierten Zeitungen wie die „Welt am Sonntag“ mit schockierenden Headlines wie „Selbstmord-Gesellschaft“, die auf die dramatischen Auswirkungen von Umweltverschmutzung und Überkonsum hinwiesen. Dieser Gegensatz zwischen Werbebotschaft und Realität zeigte deutlich, wie Marken anfingen, Umweltbewusstsein als Verkaufsargument zu nutzen, oft ohne tiefgreifende Veränderungen in der Praxis.
Learning: Authentizität zählt. Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern eine Haltung – und Verbraucher merken, wenn sie nur leere Versprechen erhalten. Eine glaubwürdige Botschaft muss durch echte Taten unterstützt werden.
Von damals bis heute: Was wir gelernt haben
Die 70er haben bewiesen, dass Werbung mehr sein kann als nur das Verkaufen von Produkten. Sie kann Emotionen wecken, Geschichten erzählen und in Erinnerung bleiben. Was wir daraus fürs heutige Marketing lernen können:
- Emotional statt rational: Menschen kaufen Gefühle, keine Fakten. Emotionen sind der Schlüssel zu nachhaltiger Markenbindung. Studien zeigen, dass Entscheidungen häufig emotional getroffen und erst im Nachhinein rationalisiert werden. Moderne Marketer sollten daher Geschichten schaffen, die berühren und inspirieren – von Werbespots bis Social-Media-Kampagnen.
- Humor als Waffe: Witzige Kampagnen bleiben in Erinnerung. Humor verbindet und schafft Sympathie, indem er Barrieren abbaut. Doch Vorsicht: Der Humor muss zur Marke passen und zeitgemäß sein. Von selbstironischen TikTok-Videos bis hin zu subtilen Wortspielen in Anzeigen – Marken können durch Humor Vertrauen aufbauen.
- Mut zur Ungewöhnlichkeit: Eine lila Kuh hat mehr Strahlkraft als eine weiße. Ungewöhnliche Ideen, die aus der Masse herausstechen, erzeugen Aufmerksamkeit und bleiben im Gedächtnis. Heutige Beispiele sind virale Marketing-Stunts oder mutige Designs, die sich bewusst von der Norm abheben. Mut ist dabei der erste Schritt zur Innovation.
- Glaubwürdigkeit ist alles: Nachhaltigkeit ist mehr als ein Buzzword. Konsumenten erkennen schnell, ob eine Marke authentisch handelt oder nur Greenwashing betreibt. Transparenz und echte Initiativen, die ökologische oder soziale Werte fördern, sind entscheidend. Das bedeutet, Taten müssen Worten folgen – sei es durch nachhaltige Lieferketten oder durch soziale Engagements, die wirklich etwas bewegen.
Warum die 70er noch heute inspirieren
Ob damals oder heute: Gute Werbung erzählt Geschichten. Sie nimmt uns mit in eine Welt, die wir nicht unbedingt brauchen, aber lieben. Die 70er haben gezeigt, dass Emotionen, Kreativität und ein Hauch von Verrücktheit den Unterschied machen können – ein universelles Prinzip, das über Jahrzehnte hinweg Bestand hat.
Warum funktioniert das? Studien zur Narrative Transportation Theory, einer Theorie aus der Konsumentenpsychologie, belegen, dass emotional ansprechende Geschichten nicht nur die Aufmerksamkeit steigern, sondern auch langfristige Bindungen schaffen. Menschen, die in eine Erzählung eintauchen, entwickeln eine tiefere Verbindung zu Marken und Produkten.
Der Humor-Effekt unterstützt dies: Lustige Inhalte bleiben häufig besser in Erinnerung. Marken, die es schaffen, mit Humor eine Verbindung zu ihrem Publikum aufzubauen, erzielen höhere Wiedererkennungswerte und Sympathiepunkte. Diese Erkenntnisse lassen sich klar auf erfolgreiche Kampagnen der 70er wie das HB-Männchen oder Coca-Colas „I’d like to buy the world a Coke“ übertragen.
Noch bedeutender ist die Rolle der Authentizität. Studien, wie das Edelman Trust Barometer, zeigen deutlich: Verbraucher bevorzugen Marken, die ihre Versprechen einhalten und glaubwürdig kommunizieren. Milkas lila Kuh ist ein Paradebeispiel dafür, wie eine Marke mit einer klaren, authentischen Botschaft nicht nur Sympathie gewinnt, sondern Jahrzehnte überdauert.
Was können wir heute daraus lernen? Die Lektionen der 70er sind aktueller denn je. In einer Welt voller Informationen und Werbebotschaften müssen Marken heute mutiger, kreativer und emotionaler agieren. Es reicht nicht, Produkte zu verkaufen – es geht darum, Werte zu vermitteln und Geschichten zu schaffen, die die Menschen berühren. Dabei sollten Unternehmen Folgendes beachten:
- Erzähle eine emotionale Geschichte: Menschen kaufen Gefühle, keine Fakten. Marken müssen Narrative entwickeln, die inspirieren und bewegen.
- Nutze Humor strategisch: Witzige Kampagnen schaffen Sympathie und bleiben im Gedächtnis, vorausgesetzt, sie sind authentisch und zur Marke passend.
- Sei mutig und ungewöhnlich: Ideen, die aus der Masse herausstechen, sorgen für Aufmerksamkeit. Marken wie Milka haben bewiesen, dass Ungewöhnlichkeit ein entscheidender Faktor ist.
- Bleibe authentisch: Nachhaltigkeit und Wertekommunikation sind keine Trends, sondern fundamentale Anforderungen. Konsumenten erkennen schnell, ob eine Marke wirklich handelt oder nur spricht.
Warum diese Prinzipien universell sind Die 70er lehrten uns, dass Werbung mehr ist als Produktpräsentation. Sie ist eine Brücke zu Emotionen, Erinnerungen und Werten. Und genau diese Eigenschaften machen eine Marke zeitlos. Egal, ob TikTok oder Metaverse: Marken, die sich auf diese universellen Prinzipien besinnen, können nicht nur überleben, sondern begeistern.
Wer also heute eine Marke aufbauen will, sollte sich fragen: Welche Geschichte erzähle ich, und wie schaffe ich es, dass sie mein Publikum berührt? Denn am Ende kaufen wir nicht das, was wir brauchen, sondern das, was uns bewegt – damals wie heute.