„Sind wir noch Herr unserer Kaufentscheidungen?“
Du gehst in den Supermarkt, eigentlich nur, um Milch zu kaufen – und kommst mit einem Korb voller Dinge zurück, die du weder auf deiner Liste noch jemals in deinem Kopf hattest. War das alles deine freie Entscheidung? Oder bist du einer unsichtbaren Macht erlegen, die uns alle lenkt: der Werbung? Willkommen in der Welt des HOBA-Experiments – einem der eindrücklichsten Beweise dafür, wie unser Konsumverhalten manipuliert wird. Doch was bedeutet das für Marketer? Und wie können sie diese Erkenntnisse ethisch einsetzen?
Was steckt hinter dem HOBA-Experiment?
Das HOBA-Experiment (Hypothetisch-Operatives Branding-Arousal) wurde erstmals in den 1970er-Jahren in der Konsumforschung beschrieben. Forscher wollten herausfinden, wie stark emotionale Reize unsere Wahrnehmung und Kaufentscheidungen beeinflussen. Das Ergebnis? Geradezu erschreckend.
Ein Produkt ohne emotionale Aufladung bleibt neutral. Doch sobald positive Bilder oder Gefühle damit verknüpft werden, erscheint es uns attraktiver und wertvoller – selbst dann, wenn der tatsächliche Nutzen unverändert bleibt.
Wissenschaftliche Basis: Emotionen als Entscheidungsfaktor
Studien wie die von Antonio Damasio, einem führenden Neurowissenschaftler, zeigen, dass über 90 % unserer Entscheidungen unbewusst und stark emotional gesteuert sind. In seinem Werk Descartes’ Irrtum beschreibt er, wie Gefühle das Fundament aller Entscheidungen bilden. Das HOBA-Experiment bestätigt genau das: Emotionen agieren als eine Art Shortcut, der uns Entscheidungen erleichtert – oft jedoch zugunsten der Werbetreibenden.
Wie funktioniert das?
1. Emotionales Aufladen
Produkte beginnen oft als „weiße Leinwand“. Sie haben keinen emotionalen Wert. Ein Parfum, ein Auto, ein Getränk – zunächst sind sie lediglich funktional. Doch die Verbindung mit Gefühlen wie Freiheit, Geborgenheit oder Erfolg hebt sie auf ein neues Level.
2. Klassische Konditionierung
Das Prinzip der klassischen Konditionierung, das auf die Experimente des russischen Forschers Iwan Pawlow zurückgeht, ist dabei zentral: Ein neutraler Reiz (zum Beispiel Zahnpasta) wird mit einem positiven Reiz (strahlend weiße Zähne in einem charmanten Lächeln) kombiniert. Die Emotion überträgt sich auf das Produkt – und voilà, die Zahnpasta wird zu einem Symbol für Attraktivität und Erfolg.
3. Unbewusste Mechanismen
Psychologen wie Daniel Kahneman, der den Nobelpreis für seine Forschung zur Verhaltensökonomie erhielt, erklären: Unser Gehirn sucht nach kognitiven Abkürzungen (Heuristiken). Werbebilder, Musik und Emotionen triggern diese Mechanismen. Das macht uns anfällig – und das schneller, als wir bewusst darüber nachdenken können.
Das HOBA-Prinzip in der Praxis
Autos: Freiheit und Abenteuer
Ob in TV-Spots oder auf Plakaten: Autos werden selten durch ihre PS-Zahl oder den Spritverbrauch beworben. Stattdessen sehen wir Serpentinen, Sonnenuntergänge oder Wüstenlandschaften. Das Gefühl, dass ein Auto Freiheit und Abenteuer bedeutet, lässt uns den täglichen Stau auf der Stadtautobahn ausblenden.
Studie: Eine Untersuchung von Karmarkar und Tormala (2010) zeigte, dass emotionale Botschaften den Kaufimpuls um bis zu 23 % verstärken können – unabhängig von der tatsächlichen Produktleistung.
Schokolade: Komfort und Geborgenheit
Schokolade ist längst nicht mehr nur ein süßer Snack. Spots zeigen kuschelige Sofas, Kaminfeuer und entspannte Gesichter. Die Botschaft: „Dieses Produkt macht dich glücklich und geborgen.“ Ironischerweise bleiben Kalorien und Zuckerwerte dabei konsequent unerwähnt.
Kosmetik: Schönheit und Selbstwert
Make-up-Produkte versprechen selten nur „gute Deckkraft“. Stattdessen suggerieren sie, dass sie uns schöner, selbstbewusster und sogar erfolgreicher machen. Eine unbewusste Übertragung dieser Werte auf das Produkt lässt uns bereitwillig mehr Geld ausgeben.
Warum funktioniert das?
1. Psychologische Auslöser
Evolutionäre Mechanismen spielen eine zentrale Rolle. Das Kindchenschema, bekannt durch Konrad Lorenz, zeigt, dass wir auf große Augen und runde Gesichter instinktiv mit Fürsorge reagieren. Werbungen mit Babys und Tieren nutzen dies schamlos aus.
2. Soziale Normen und Symbole
Erfolgsversprechen, Schönheit und Statussymbole sind universelle Trigger. Sie funktionieren über Kulturen hinweg, weil sie tief in unseren sozialen Codes verankert sind.
3. Die Macht des Unbewussten
Eine von der Harvard Business School durchgeführte Meta-Analyse (2017) zeigte, dass über 70 % der Kaufentscheidungen emotional und unbewusst getroffen werden – ein klarer Sieg für das HOBA-Prinzip.
Die Schattenseiten: Wie ethisch ist das HOBA-Prinzip?
Manipulation: Die dunkle Seite der Werbung
Kritiker werfen der Technik vor, Konsumenten zu manipulieren und rationale Entscheidungen zu untergraben. Besonders problematisch wird dies, wenn Kinder oder vulnerable Zielgruppen angesprochen werden.
Kinder als Zielgruppe
Laut einer Studie des deutschen Werberats werden allein in Deutschland 30 % der TV-Werbespots für Kinder emotional aufgeladen. Figuren wie der Kellogg’s-Tiger oder niedliche Maskottchen bei Joghurtprodukten zielen gezielt auf die jüngsten Konsumenten.
Nachhaltigkeit: Versprechen auf wackeligen Füßen
Emotionen wirken zwar kurzfristig, doch wenn das Produkt die hohen Erwartungen nicht erfüllt, droht der Marke langfristiger Schaden. Ein aktuelles Beispiel: Die stark emotionalisierte Kampagne eines beliebten Schokoladenherstellers wurde kritisiert, weil Nachhaltigkeitsversprechen nicht eingehalten wurden.
Was wir für das Marketing daraus lernen können
Emotionen gezielt und ethisch nutzen
Das HOBA-Prinzip ist ein mächtiges Werkzeug, doch Marketer sollten es mit Bedacht einsetzen. Bilder, Musik und Botschaften müssen präzise auf die Zielgruppe abgestimmt sein – und dabei authentisch bleiben.
Langfristige Werte statt kurzfristiger Effekte
Marken, die langfristig erfolgreich sein wollen, müssen Emotionen mit echter Qualität und einem ehrlichen Markenversprechen verbinden. Emotionen allein tragen nicht ewig.
Ethische Verantwortung
Gerade in Zeiten von Greenwashing und überladenen Werbebotschaften wird Authentizität immer wichtiger. Wer ethisch handelt, schafft Vertrauen – und das zahlt sich aus.
Beispiel: Unternehmen wie Patagonia oder Frosch kombinieren emotionale Werbung mit echten Nachhaltigkeitswerten und sind dadurch glaubwürdig.
Fazit: Die unsichtbare Macht der Emotionen
Das HOBA-Experiment zeigt, wie leicht wir durch emotionale Reize gesteuert werden können – ein Fluch und ein Segen für das Marketing. Emotionen sind der Motor, der uns bewegt, doch sie sollten mit Bedacht eingesetzt werden. Wer authentische Geschichten erzählt und langfristig Vertrauen aufbaut, gewinnt mehr als nur Kunden: Er schafft Markenfans.
Und du? Greifst du beim nächsten Einkauf wieder zur emotional überladenen Schokolade – oder hinterfragst du, warum dich der Werbespot so geködert hat?