„Willst du viral gehen? Klar, wer nicht!“
Stell dir vor, du bist in einem typischen Marketing-Meeting. Der Beamer summt, die Kaffeemaschine kämpft mit dem Milchschaum, und jemand – nennen wir ihn den „Viralisierungsbeauftragten“ – sagt mit leuchtenden Augen: „Wir brauchen etwas, das viral geht!“ Es klingt großartig. Denn Viralität ist wie der Heilige Gral des Marketings: maximale Aufmerksamkeit, minimale Kosten.
Aber halt mal kurz. Was bedeutet „viral“ eigentlich? Reicht es, wenn ein paar Tausend Leute dein Video teilen? Oder reden wir von globaler Internetberühmtheit, bei der selbst deine Oma auf Facebook kommentiert? Die Realität ist komplizierter. Und nein, es gibt kein geheimes Rezept, wie man das Internet erobert. Aber es gibt Mechanismen, die helfen können – und Fallstricke, die fast garantiert den Erfolg sabotieren.
Was macht Inhalte viral? (Mythos und Mechanismen)
Viralität bedeutet, dass sich Inhalte wie ein Lauffeuer verbreiten – durch Likes, Shares und Kommentare. Doch genau wie beim Feuer braucht es mehr als nur einen Funken: den richtigen Inhalt, die richtige Plattform und das richtige Timing.
Wissenschaftliche Studien haben sich intensiv mit der Frage beschäftigt, warum manche Inhalte viral gehen und andere im digitalen Nirwana verschwinden. Jonah Berger, Autor von „Contagious: How to Build Word of Mouth in the Digital Age“, identifiziert sechs zentrale Prinzipien:
- Soziale Währung: Menschen teilen Dinge, die sie selbst gut dastehen lassen. Ein virales Video gibt dir das Gefühl, Teil von etwas Besonderem zu sein. Beispiel? Der Old Spice Guy – der coole, charmante Mann, den jede*r zeigen wollte.
- Trigger: Inhalte, die mit alltäglichen Dingen verbunden sind, bleiben länger im Kopf. Wenn ich dir sage: „Woran denkst du bei einem Spagat zwischen zwei fahrenden Lkws?“ – richtig, Van Damme.
- Emotion: Inhalte, die starke Emotionen hervorrufen, werden häufiger geteilt. Freude, Überraschung oder Wut – sie alle sorgen dafür, dass wir auf „Teilen“ klicken. Die Ice Bucket Challenge ist das perfekte Beispiel: Es war lustig, es war mutig, und es war emotional.
- Öffentlichkeit: Je sichtbarer eine Kampagne, desto wahrscheinlicher wird sie kopiert. Memes funktionieren so – sie leben davon, dass jeder sie aufgreifen und weiterentwickeln kann.
- Praktischer Nutzen: Nützliche Inhalte wie Tutorials oder Life Hacks gehen viral, weil sie echten Mehrwert bieten.
- Storys: Gute Geschichten bleiben im Kopf und verbreiten sich wie ein Lauffeuer. „Volvo Trucks“ erzählt eine Geschichte von Präzision und Stabilität – das bleibt hängen.
Praxisbeispiele:
- Ice Bucket Challenge (2014): Ein virales Phänomen, das Emotion, soziale Währung und Sichtbarkeit perfekt kombinierte. Das Ergebnis: 115 Millionen Dollar für die ALS Association.
- Volvo Trucks – The Epic Split (2013): Jean-Claude Van Damme zeigt, dass Präzision und Kraft selbst in der Welt der Lkw episch sein können. Über 100 Millionen Klicks später war die Botschaft klar: Volvo baut stabile Trucks.
- Old Spice – The Man Your Man Could Smell Like (2010): Humor, Charme und direkte Interaktion mit dem Publikum machten diese Kampagne zu einem Klassiker.
Das alles zeigt: Es gibt Mechanismen, die Viralität begünstigen. Aber es bleibt ein Stück weit auch ein Glücksspiel.
Die Realität: Viral ≠ nachhaltig
Okay, jetzt mal die Kehrseite. Nur weil etwas viral geht, heißt das nicht, dass es langfristig funktioniert. Drei Beispiele illustrieren das Problem:
- EDEKA – Supergeil (2014): Friedrich Liechtenstein singt sich durch einen absurd-schönen Song. Millionen Klicks. Doch frag dich mal: Hat jemand danach mehr bei EDEKA eingekauft oder den Künstler weiter verfolgt? Der virale Hit blieb ein Unterhaltungserfolg – der Effekt auf die Marke war unklar.
- Moorhuhn: Ende der 90er-Jahre entwickelten die Macher das Kultspiel, um die Whisky-Marke Johnnie Walker zu promoten. Das Spiel wurde ein Mega-Hit, doch der Bezug zur Marke ging im Hype komplett verloren. Die Menschen spielten Moorhuhn – und vergaßen den Whisky.
- Ice Bucket Challenge: Sie brachte weltweit Aufmerksamkeit für ALS. Doch Studien zeigen: Nach dem viralen Hype flachte die Unterstützung rapide ab. Viele Menschen erinnerten sich eher an die Aktion als an die Botschaft dahinter.
Warum passiert das?
- Viralität erzeugt Aufmerksamkeit, aber nicht automatisch Bindung.
- Oft stehen Unterhaltung und Wow-Effekt im Vordergrund, während die Marke oder Botschaft im Hintergrund bleibt.
- Ohne strategische Einbettung verpufft der virale Erfolg schneller, als du „Teilen“ sagen kannst.
Was wirklich zählt: Langfristige Markenentwicklung
Die wahre Kunst liegt darin, Viralität mit langfristiger Markenbindung zu verbinden. Kampagnen wie „Volvo Trucks – The Epic Split“ haben gezeigt, dass das möglich ist. Warum hat es bei Volvo funktioniert?
- Klare Markenbotschaft: Es ging nicht nur um Van Damme. Es ging darum, die technische Präzision der Trucks zu demonstrieren – und das blieb hängen.
- Kohärenz: Die Kampagne war Teil einer größeren Strategie. Sie stand nicht isoliert, sondern baute auf Volvo’s Markenwerten auf.
- Emotionale Verankerung: Humor, Überraschung und eine visuelle Ästhetik, die beeindruckt – das sind Erinnerungsanker.
Und im B2B-Bereich? B2B-Kampagnen können genauso viral gehen wie B2C – wenn sie emotional und relevant sind. Doch Glaubwürdigkeit ist hier besonders wichtig. Niemand kauft einen Lkw nur wegen eines Spagats, aber es schafft Vertrauen in die Marke.
Ist Viralität das Ziel?
Viralität ist wie ein Feuerwerk: Es erleuchtet den Himmel, zieht die Aufmerksamkeit auf sich – und ist dann schnell vorbei. Der wahre Erfolg liegt nicht darin, viral zu gehen, sondern darin, langfristig im Kopf und Herzen der Zielgruppe zu bleiben.
Klicks, Likes und Shares sind nur Zahlen. Markenbindung, Vertrauen und eine klare Botschaft – das ist das, was am Ende wirklich zählt.
Was lernen wir daraus?
Bevor du das nächste Mal „Wir wollen viral gehen!“ rufst, frag dich:
- Was ist das Ziel der Kampagne?
- Wie passt sie zur Marke und zur langfristigen Strategie?
- Wird die Botschaft verstanden, auch wenn der Hype vorbei ist?
Denn eines ist sicher: Viralität ohne Substanz ist wie ein Spiel ohne Sieger – unterhaltsam, aber am Ende bleibt nichts Greifbares übrig.